Militärischer Gruß, Umarmungen und ein zäher Start: Unter enormen Sicherheitsvorkehrungen hat am Dienstag in Frankfurt am Main der «Reichsbürger»-Prozess um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Die neun Angeklagten - darunter Ex-Militärs, ein Adeliger und eine ehemalige Bundestagsabgeordnete - wirken alles andere als eingeschüchtert. Es wird gelacht, getuschelt, mit Verteidigern umarmt und der militärische Gruß zu mutmaßlich Gleichgesinnten gezeigt. Was zum Auftakt dann allerdings erst einmal folgt: langwierige Anträge der Verteidiger, Gerichtsberatungen und Pausen.
Der Prozess vor dem Oberlandesgericht startet mit rund einer Dreiviertelstunde Verspätung in der eigens für das Verfahren errichteten Metall-Leichtbauhalle am Rand der Stadt. Eine Gerichtssprecherin weist Medienvertreter darauf hin, dass einige Anwälte noch mit ihren Mandanten sprechen wollten, «an uns, dem Oberlandesgericht, lag es nicht». Rund 20 Anwälte zählt der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk - mehrere fehlen unangekündigt. Einige der Anwesenden stellen dann zahlreiche Anträge, die das Gericht nach Beratungspausen größtenteils ablehnt. Denn zunächst solle die Anklageschrift verlesen werden.
617 Seiten umfasst diese, in der Verhandlung wird allerdings nur ein Anklagesatz von 65 Seiten vorgetragen. Mehr als zwei Stunden erläutert die Bundesanwaltschaft ihre Anklagepunkte. Sie wirft den neun Männern und Frauen vor, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese unterstützt zu haben. Prinz Reuß habe dabei als ein Rädelsführer agiert, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Tobias Engelstetter, in seinem Vortrag.
Die terroristische Vereinigung sei Ende Juli 2021 gegründet worden. Eine bewaffnete Gruppe habe in das Reichstagsgebäude in Berlin eindringen und Bundestagsabgeordnete sowie Mitglieder der Bundesregierung festnehmen sollen. Die Anklage lautet teilweise auch auf die Planung eines hochverräterischen Unternehmens. Auch der Verstoß gegen das Waffengesetz zählt zu den Vorwürfen gegen einen Teil der Angeklagten.
Eigene Staatsform bereits ausgearbeitet
Konkret heißt es in der Anklage, die Gruppe habe es sich zum Ziel gesetzt, «die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen». Die Angeklagten seien durch Verschwörungstheorien und Narrative von «Reichsbürgern» miteinander verbunden gewesen. Prinz Reuß habe sich mit den Plänen auch an Vertreter Russlands gewandt.
Die Bundesanwaltschaft gibt auch Einblicke, wie ein solcher Staat nach Auffassung der Gruppe aussehen solle. An der Spitze solle ein Adliger stehen, in Person von Prinz Reuß. Für den Bereich Justiz war die ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD und Berliner Ex-Richterin Birgit Malsack-Winkemann vorgesehen. Auch weitere Ressorts waren schon mit Personal besetzt.
Nach der geplanten Machtübernahme sollten nach Willen der Gruppe auch die Behörden umstrukturiert werden. Laut Anklage sollten beispielsweise Beamte entlassen werden, die sich freiwillig mit einem mRNA-Impfstoff gegen Corona impfen ließen.
Schießtraining veranstaltet
Immer wieder geht es am Dienstag im Gerichtssaal um den geplanten bewaffneten Übergriff auf das Reichstagsgebäude. Dafür habe Malsack-Winkemann weitere Mitglieder durch die Liegenschaften des Bundestags geführt, dabei seien Fotos mit dem Smartphone gemacht worden. Zur Vorbereitung sei auch ein Schießtraining veranstaltet worden.
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hatte die Gruppe Zugriff auf ein massives Waffenarsenal, bestehend aus rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffen- sowie mindestens 148.000 Munitionsteilen. Zudem verfügten sie für ihre Umsturzpläne über etwa eine halbe Million Euro. Wiederholt wurde laut Bundesanwaltschaft militärisches Personal rekrutiert. Als Spitze des sogenannten militärischen Arms ist Rüdiger von Pescatore angeklagt, neben Reuß laut Anklage der zweite Rädelsführer.
Die sogenannten Reichsbürger in Deutschland behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) weiter existiert. Die Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an. Für die Angeklagten gilt bis zu einem etwaigen Urteil die Unschuldsvermutung. Die Anwälte von Reuß erklären am Rande des Prozesses mehrfach vor Journalisten, ihr Mandant sei kein Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung gewesen. Dies wolle er auch in dem Verfahren darlegen. Die Verteidiger kritisieren zudem, dass das Verfahren auf drei Standorte aufgeteilt wurde.
Der Verteidiger einer der angeklagten Frauen erklärte in seinem Eingangsstatement am späten Nachmittag vor Gericht, seine Mandantin sei keine «Reichsbürgerin». Die 53-Jährige sei von den Medien unzulässig vorverurteilt worden, kritisierte der Verteidiger. Die Angeklagten hätten bei weitem nicht alle denselben weltanschaulichen Hintergrund. Der Verteidiger kritisierte neben der Corona-Politik der früheren Bundesregierung auch das Gerichtsverfahren, es sei ein Propaganda-Instrument für staatliches Handeln.
Insgesamt drei Prozesse
Das Verfahren ist das zweite von insgesamt drei Mammutprozessen gegen die Gruppe: Ende April hatte in Stuttgart der Prozess gegen mutmaßliche Vertreter des militärischen Arms begonnen. In München stehen ab dem 18. Juni die übrigen mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe vor Gericht. Die Verschwörungspläne waren nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia im Dezember 2022 bekannt geworden.
Schon die Zahlen zum Prozess in Frankfurt sind eindrücklich: Neben den neun Angeklagten sind fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 25 Verteidiger im Prozess dabei. Rund 260 Zeugen sollen geladen werden. Die Dokumente zum Prozess sind laut dem Gericht in 801 Stehordnern abgelegt. Es wird mit einer langen Prozessdauer gerechnet, Termine sind bis ins kommende Jahr hinein festgelegt worden.
Den Angeklagten drohen laut Gericht bis zu zehn Jahre Haft, wenn sie in einem Anklagepunkt schuldig gesprochen werden. Im Falle mehrerer Schuldsprüche und einer Gesamtstrafe wären es maximal 15 Jahre Haft.
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