Kinderschützer und Wissenschaftler haben einen anderen politischen Umgang mit armen Menschen – insbesondere mit Kindern und Jugendlichen in Deutschland gefordert. «Man darf Armutsbetroffene nicht verächtlich machen, muss ihre täglichen Leistungen sichtbar machen», sagte der Soziologe André Knabe auf einer Fachtagung in Erfurt.
In der Öffentlichkeit würde nicht zuletzt durch politische Debatten über Bürgergeld-Empfänger allzu oft ein falsches Bild gezeichnet. «Es ist auf keinen Fall eine komfortable Situation in Armut zu sein», sagte Knabe, der am Rostocker Institut für Sozialforschung und gesellschaftliche Praxis arbeitet. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist soziale Ungleichheit.
Knabe sagte, er habe im Laufe seiner Forschungen mit etwa 100 Empfängern von Bürgergeld-Leistungen biografische Interviews geführt. «Mir ist der faule Arbeitslose bislang noch nicht begegnet.» Die Tagung, die sich insbesondere mit Kinderarmut beschäftigt, war unter anderem vom Thüringer Kinderschutzbund, der Fachhochschule Erfurt und der Landeszentrale für politische Bildung organisiert worden.
Wer ist am häufigsten von Armut betroffen?
Vor allem die CDU hatte in den vergangenen Monaten das Bürgergeld-System immer wieder als zu auskömmlich kritisiert. Die Partei will diese Form der Grundsicherung in ihrer derzeitigen Form abschaffen, sollte sie die nächste Bundesregierung anführen.
Auch der Geschäftsführer des Kinderschutzbundes im Freistaat, Carsten Nöthling, zeigte sich unzufrieden mit der aktuellen politischen Debatte über Armut in Deutschland. Zu häufig werde im politischen Diskurs der Eindruck erweckt, arme Menschen seien an ihrer Situation selbst schuld, weil sie angeblich nicht arbeiten wollten, sagte Nöthling. Diese Schuldfrage werde wahrscheinlich bald noch häufiger wieder gestellt, wenn die Arbeitslosenzahlen infolge der schwachen Konjunktur in Deutschland demnächst wieder deutlich steigen sollten.
Zugleich sei das Themenfeld Kinderarmut in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren politisch völlig unterbelichtet gewesen, sagt Nöthling. Nur weil in der Politik zu wenig über Kinderarmut gesprochen worden sei, bedeute das aber nicht, dass die Betroffenen verschwunden seien.
Statistisch betrachtet gilt etwa jeder fünfte Thüringer als arm, weil er über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen kann. Manche Bevölkerungsgruppen sind deutlich häufiger arm als andere. Ein besonders großes Risiko, von Armut betroffen zu sein, haben Alleinerziehende, Familien mit mehr als zwei Kindern oder Menschen mit nur einer geringen Bildung. Der Anteil der Thüringer, die von Armut betroffen sind, ist seit Jahren relativ konstant.
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