Der Machtkampf im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) spitzt sich zu. Während CDU, BSW und SPD in Erfurt in Vorgesprächen für Koalitionsverhandlungen sind, reißt die Kritik aus der BSW-Bundesspitze an ihrem Thüringer Landesverband rund um die Pragmatikerin Katja Wolf nicht ab. In einem auf der Homepage der Partei veröffentlichten Beschluss fordert der Bundesvorstand die Thüringer nun auf, außenpolitische Positionen in Koalitionsverhandlungen zu konkretisieren - oder in die Opposition zu gehen. Wagenknecht, so sehen es Experten, bringt sich damit aber auch in die Zwickmühle.
Kern des Konflikts ist ein zweiseitiges Papier, das CDU, BSW und SPD am Montag in Erfurt präsentierten. Es soll als Präambel für einen möglichen Koalitionsvertrag in Thüringen gelten. Darin enthalten sind auch Passagen zum Ukraine-Krieg oder der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Wagenknecht hatte so eine Einigung vor Eintritt in Koalitionsgespräche zwar gefordert. Schon Stunden nach der Präsentation sprach die Parteichefin aber von einem «Fehler».
Denn: Anders als bei einer ähnlichen Einigung in Brandenburg, wo das BSW nur mit der SPD verhandeln musste, waren in Thüringen nicht nur unterschiedliche Positionen der Parteien zu Waffenlieferungen an die Ukraine festgelegt. Eine Kritik an etwaigen US-Raketen in Deutschland durch die möglichen Koalitionäre fehlte sogar ganz. Stattdessen hieß es, viele Bürger sähen das kritisch. Wagenknecht und andere BSW-Funktionäre sehen zentrale Wahlkampfversprechen nicht eingelöst und übersäen die Thüringer seither mit Kritik.
Hat Wagenknecht Wolf unterschätzt?
«Das ist der erste öffentliche Machtkampf, den man da beobachten kann», sagt der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne von der Technischen Universität Chemnitz. Offiziell gehe es um sicherheitspolitische Themen. «Aber die eigentliche Frage ist: Wer hat das Sagen in der Partei?» Wagenknecht habe offenbar die Eigenwilligkeit von Wolf unterschätzt - obwohl diese sich schon länger abgezeichnet habe.
Wolf, früher Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach und Linke-Mitglied, gilt als Pragmatikerin. Schon im Wahlkampf hatte sie sich gelegentlich von Wagenknechts Positionen abgesetzt. Kritik aus Berlin ließ sie bislang an sich abprallen. Bei der Präsentation des Papiers in Erfurt antwortete sie am Montag auf die Frage, ob Wagenknecht der Einigung zugestimmt habe, mit einem etwas verkniffenen Lächeln: «Die Zustimmung ist rein formal nicht vorgesehen.» Völlig entspannt sei sie aber nicht, gab sie zu.
«Dilemma, das schwierig aufzulösen ist»
Wagenknecht habe sich «in ein Dilemma hineinmanövriert, das schwierig aufzulösen ist», meint Höhne. Die Thüringer BSW-Abgeordneten seien frei gewählt und könnten im Extremfall auch ohne BSW-Label mit CDU und SPD zusammengehen. «Sie müssen nicht darauf hören, was im Saarland oder in Berlin beschlossen wird. Formal sind Frau Wagenknecht die Hände gebunden.» Die Voraussetzung sei, dass Wolf ihre Leute hinter sich habe. Am Dienstagabend segnete der BSW-Landesvorstand die Präambel ab.
Auch der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität Bochum, der lange in Thüringen gelehrt hat, sieht eine Gefahr für Wagenknecht. «Sie ist sehr schnell auf einen hohen Baum geklettert. Ob sie dort wieder runterkommt, wird man sehen.» Schon alleine, dass es bei den Verhandlungen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen voraussichtlich unterschiedliche Ergebnisse gebe, beschädige Wagenknechts Image und ihre Vorstellung von einer Kaderpartei.
Wagenknecht habe vor allem die Bundestagswahl im Blick, sagte Lembcke. Das Thema Frieden ziehe bei der Bevölkerung und sie wolle davon keinesfalls abrücken. Höhne attestiert Wagenknecht zwar generell Lust am Regieren in den Ländern. «Aber wenn sie dadurch riskiert, bei der Bundestagswahl Wählerinnen und Wähler zu verlieren, die Frieden mit Russland wollen, verlöre das Mitregieren auf der Landesebene an Bedeutung.»
Scheitern in Sachsen nicht ausgeschlossen
In Sachsen laufen die Gespräche von CDU, SPD und BSW bislang schleppend. Das sächsische BSW hatte die Thüringer Einigung zuletzt ebenfalls kritisiert. Man werde sich «für eine klare Formulierung in der Friedensfrage einsetzen», hieß es in einer Mitteilung. CDU und SPD würden sich dort voraussichtlich am Thüringer Kompromiss orientieren, meint Lembcke. «Wagenknecht wird aber kaum eine zweite Niederlage in Folge hinnehmen. Deswegen ist ein Scheitern dort keineswegs ausgeschlossen.»
Wenn der Druck auf Wolf zu groß werde und daran die Koalitionsverhandlungen scheitern könnten, sei es aus seiner Sicht auch möglich, dass die mit CDU und SPD eigentlich schon beschlossene Präambel nochmal nachverhandelt werden könne, so Lembcke. «Wagenknecht wird auf jeden Fall eine Form der Kompensation erwarten.» Generell dürfte aus seiner Sicht keine der beiden Frauen Interesse an einer Eskalation haben: «Wenn man das jetzt nicht einfängt, wird es unangenehm für Frau Wolf - aber auch für Frau Wagenknecht.»
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