Rechtsruck in Thüringen: Die AfD mit ihrem Chef Björn Höcke hat die Landtagswahl im Freistaat gewonnen, aber kaum Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Es ist das erste Mal, dass die AfD in einem Bundesland bei einer Wahl stärkste Kraft geworden ist. Auch für eine denkbare Regierung aus CDU, BSW und SPD wird es nach Hochrechnungen eng in Thüringen.
Der 52-jährige Höcke kündigte in Erfurt an, er wolle mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen ins Gespräch kommen. Es sei gute parlamentarische Tradition, dass die stärkste Kraft nach einer Wahl zu Gesprächen einlade. Auch CDU-Chef Mario Voigt erhob Anspruch auf die Regierungsbildung. «Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.»
Die AfD kam bei der Landtagswahl Hochrechnungen zufolge auf 32,4 bis 33,4 Prozent (2019: 23,4 Prozent). Die CDU landet bei 23,8 Prozent (21,7). Aus dem Stand schafft das BSW 15,5 bis 15,6 Prozent - und lässt damit die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow weit hinter sich, die dramatisch auf 11,9 bis 12,9 abstürzt (31,0).
Starke Verluste verbuchen die Parteien der Berliner Ampel-Regierung: Die SPD liegt mit 6,0 bis 6,2 Prozent noch unter ihrem bislang schlechtesten Ergebnis in Thüringen von 2019 (8,2). Die Grünen scheiden mit 3,4 bis 3,5 (5,2) aus dem Parlament aus, ebenso die FDP mit 1,2 Prozent (5,0).
Land vor dem Regierungswechsel
Keine der in den Landtag in Erfurt gewählten Parteien will mit der AfD koalieren. So wird Höcke wohl auch in der neuen Legislaturperiode mit seiner vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Partei isoliert dastehen.
Trotz schwieriger Mehrheitsverhältnisse wird es einen Regierungswechsel und ein Ende der rot-rot-grünen Koalition von Bodo Ramelow (Linke) geben. Unklar blieb aber zunächst, ob es für eine Koalition aus CDU, BSW und SPD reicht. In Hochrechnungen vom späten Abend kam diese Konstellation nicht auf eine Mehrheit der Sitze im Landtag.
Hoffnungen auf einen Einzug in die Staatskanzlei machte sich Thüringens CDU-Chef Voigt, dessen Christdemokraten laut Hochrechnungen auf Platz zwei landen. Damit laufen sie vor dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ins Ziel ein.
Voigt will Gespräche führen
Voigt sagte, seine Partei begreife das Ergebnis «als Chance für den politischen Wechsel unter der Führung der CDU». Er wolle nun Gespräche führen, damit es in Thüringen eine vernünftige Regierung unter der Führung der CDU gebe. Er kündigte an, auf die SPD und deren Spitzenkandidaten Georg Maier zugehen zu wollen.
Die Linke des noch amtierenden Ministerpräsidenten Ramelow rutschte bei der Wahl ab - und wurde nach Hochrechnungen mehr als halbiert. Die Grünen als bisheriger Koalitionspartner fliegen demnach sogar aus dem Landtag. Auch die FDP von Ex-Kurzzeitministerpräsident Thomas Kemmerich wird nicht mehr im Parlament sein. Die Kanzlerpartei SPD schrammt noch einmal an der Fünf-Prozent-Hürde vorbei. Im Thüringer Landtag werden wohl künftig fünf statt bisher sechs Parteien vertreten sein.
Schwierige Regierungsbildung erwartet
Für das Land zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Anders als vor fünf Jahren sah es zunächst so aus, als könnte es für eine politisch machbare Koalition mit einer eigenen Mehrheit im Parlament reichen, doch CDU, BSW und SPD als potenzielle Partner liegen inhaltlich teils weit auseinander. Und am Abend schien auch eine Mehrheit für ein solches Bündnis unsicher.
Zudem wäre es eine bisher nie dagewesene Konstellation, ein Testfeld. Gerade innerhalb der CDU gibt es Vorbehalte gegenüber der Partei der früheren Kommunistin Sahra Wagenknecht, zumal die 55-Jährige bereits vor der Wahl Bedingungen stellte, etwa beim Thema Krieg und Frieden.
Diese Forderungen bekräftigte Wagenknecht am Wahlabend. Viele Menschen bewege das Thema Frieden zutiefst und sie lehnten es ab, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, sagte sie bei einer Wahlparty in Erfurt. Eine Landesregierung müsse diesen Wunsch der Menschen berücksichtigen und sich auf Bundesebene dafür einsetzen.
Wagenknecht lehnt Koalition mit Höcke ab
«Wenn Krieg kommt, braucht man doch über Bürokratieabbau nicht mehr zu reden», sagte Wagenknecht. Dann gebe es größere Sorgen. «Wir werden Sie nicht enttäuschen, wir machen was draus», rief Wagenknecht. Sie hoffe, dass auch bei der CDU angekommen sei, dass sich etwas ändern müsse.
Eine Koalition mit der Höcke-AfD lehnte sie erneut ab. «Höcke vertritt ein völkisches Weltbild, das ist also meilenweit von uns entfernt», sagte Wagenknecht in der ARD. «Wir haben immer gesagt, mit Herrn Höcke können wir nicht zusammenarbeiten.»
Höcke fordert Bewegung von Wagenknecht-Partei
Höcke hingegen appellierte an das BSW, die AfD mit einzubeziehen. «Ich hoffe, dass das BSW vielleicht weitergehende Überlegungen tätigt, ob es vielleicht möglich ist, nach diesem historischen Tag heute zu einem neuen lebendigen Parteiensystem zu kommen – auch unter Einschluss der AfD», sagte er dem Sender Phoenix.
BSW-Chefin Katja Wolf kündigte eine neue politische Kultur an. «Wir werden Gespräche anbieten mit allen demokratischen Fraktionen im Landtag», sagte sie. Man werde auf Augenhöhe so miteinander reden, dass es nicht das «Zerfallen in eine Koalitionspolitik und in eine Opposition gibt». Man wolle Gräben zuschütten. Auch Wolf beteuerte, dass man das Thema Frieden nicht aus dem Blick verlieren werde.
Wagenknecht sagte, eine Partei könne ihre Themen nicht in der Opposition, sondern nur in einer Regierung umsetzen. Allerdings gehe das nur, wenn sich etwa CDU und SPD auf das BSW zubewegten.
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