Zweieinhalb Wochen vor der Landtagswahl in Thüringen gehen sich die Spitzenkandidaten in einer TV-Runde teils hart an - und lassen trotzdem Koalitionsoptionen offen. Ein regelrechter Streit entbrannte zwischen CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke bei der Umsetzung einer Arbeitspflicht für Asylbewerber.
«Sie reden nur und sie handeln nie!», warf Voigt dem AfD-Politiker Höcke vor. Hintergrund war eine Frage der Moderatoren in der MDR-Sendung «Fakt ist!», warum weniger als zehn Asylbewerber im AfD-geführten Landkreis Sonneberg zur Arbeit verpflichtet wurden und im CDU-geführten Saale-Orla-Kreis dagegen 100.
Höcke bestand auf einem «Eingangsstatement», wie er sagte, obwohl das Format dies gar nicht vorsah. Zur Frage sagte er: «Das ist doch Symptompolitik.» Vielmehr müssten die Ursachen bekämpft werden. «Sie sind eine lahme Ente, Herr Höcke», sagte Voigt mit Blick auf die Politik des AfD-Landrats in Sonneberg. «Wo Sie Verantwortung haben, leisten Sie nichts.» Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet.
«Unglaublich explosiv»
Immer wieder versuchten die Moderatoren einzugreifen. «Sie zu Hause merken schon, dass es unglaublich explosiv ist», sagte MDR-Moderator Lars Sänger. Als die Politiker wiederholt von Landesthemen auf die Bundesebene abdrifteten, sagte er: «Wir erleben heute die Sternstunde der politischen Kommunikation.»
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) griff nur selten in den Streit ein und agierte eher in der Rolle als langjähriger Regierungschef.
BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf verteidigte die Haltung von Parteichefin Sahra Wagenknecht, mögliche Koalitionen nach der Landtagswahl unter anderem von einem Nein zur Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland abhängig zu machen. Krieg und Frieden seien ein drängendes Problem. Thüringen habe da auch eine «Wirkmacht», der Föderalismus in Deutschland sei so aufgebaut. Es brauche dieses Signal, sagte sie.
Voigt will Brücken bauen
Bei möglichen Koalitionen nach der Landtagswahl am 1. September blieben alle Spitzenkandidaten vage: Ramelow riet, nicht erneut eine Minderheitsregierung zu versuchen. SPD-Spitzenkandidat Georg Maier sagte «lasst uns ausloten, was unter Demokraten geht». Ex-Kurzzeitministerpräsident und FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich äußerte seine Sorge, nach der Wahl mit einer rot-rot-rot-grünen Regierung aufzuwachen.
Voigt betonte, er wolle Brücken bauen. Er diskutiere gern mit Wolf über Thüringer Themen. «Aber wenn sich hier von Außen eingemischt wird, da hat man manchmal den Eindruck, dass sie da selber gar nicht drüber entscheiden kann.» Angesichts jüngerer Umfragen wird in Thüringen diskutiert, ob es nach der Wahl eine Regierung aus CDU, BSW und SPD geben könnte.
Maier appellierte, im Wahlkampf über Landesthemen zu sprechen. «Wir müssen uns jetzt nicht zerfleischen über Themen, die wir nicht entscheiden können», sagte er. Grünen-Spitzenkandidat Bernhard Stengele prangerte an, dass auf einem Plakat aus dem BSW-Umfeld Politiker als Mörder bezeichnet worden seien, wenn sie die Ukraine unterstützen.
Migration für Höcke «Mutter aller Krisen»
Auch beim Thema Bildung wurde die Diskussion teils emotional. Höcke sieht in der Migration «die Mutter aller Krisen» und macht die Zuwanderung auch für die Probleme im Bildungssektor verantwortlich. Migration belaste die Schulen, sagte er. «Wir sind im freien Fall.» Maier verwies auf das gute Abschneiden des Thüringer Bildungssystems bei Ländervergleichen. «Dieser Mann redet die ganze Zeit unser Land schlecht, unsere Bildung», warf er Höcke vor.
Ramelow räumte ein, dass es weiterhin Lehrermangel in Thüringen gibt. Während seiner Amtszeit seien aber 7.500 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt worden - so viele wie nie, sagte der Linke-Spitzenkandidat. «Trotzdem reicht es nicht.» Der CDU-Politiker Voigt forderte Übernahmegarantien für Lehrerinnen und Lehrer, die in Thüringen ihre Ausbildung machen. Stengele mahnte, die Lehrereinstellung nicht zurückzufahren, nur, weil in einigen Jahren weniger Kinder erwartet werden. Es wäre gut und mache Thüringen attraktiv, wenn es kleinere Klassen und bessere Bildungsangebote gebe.
Am Ende lieferten sich erneut Voigt und Höcke ein kleines Wortgefecht. «Sie haben sich doch heute disqualifiziert in der Frage, Thüringen zu führen», sagte Voigt zu seinem AfD-Kontrahenten. Er habe keine einzige Sachfrage in Tiefe beantwortet. Höcke rief ihm entgegen: «Die Menschen wollen ihre Phrasen nicht.»
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